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Das Viertel der hohen Literatur

Samstag, 25. Oktober 2008 01:38  - Von Gilbert Schomaker

- Nicht mehr City und noch nicht Außenbezirk. Der Ortsteil ist einer der gefragtesten in Berlin - und das schon seit JahrzehntenHeute: Friedenau

Günter Grass hat Friedenau ein literarisches Denkmal gesetzt - aus der Luft. "Als Pilot hoch über den Dächern von Friedenau ... Mach ne Links-, ne Rechtskurve ... Links ist unter meinem Vielzweckmobil der Turm vom Friedenauer Rathaus, davor der Wochenmarkt zu erkennen mit der dicken Fischfrau und dem verrückten Blumenhändler, die mir beide zuwinken, und auch die Niedstraße mit unserem Klinkerhaus...", schrieb er.

Nobelpreisträger Grass, der in den 60er- bis 90er-Jahren in Friedenau lebte, ist nicht mehr da - die Fischfrau und der Blumenhändler aus seinem Buch "Die Box" auch nicht. Aber sein Klinkerhaus in der Niedstraße, das Rathaus und der Wochenmarkt sind geblieben - mit neuen Fisch- und Blumenhändlern und den Friedenauern von heute, die ihren Kiez zwischen Schöneberg und Steglitz lieben.

"Friedenau ist unspektakulär - im positiven Sinne", sagt Ernst Karbe. Er ist Inhaber des Fotogeschäfts "Bilderbär" an der Hedwigstraße. Aber eigentlich ist er der Mann, der die Bären verteilt. Ein Dutzend Teddybären, groß und klein, setzt Karbe bei gutem Wetter vor seinen Eckladen - auf parkende Autos, in eigene Sessel oder auch mal auf Fensterbänke.

Sonnabend ist Markttag

Vor 25 Jahren ist er von Reinickendorf nach Friedenau gezogen. Wegen der Schulen, wie er erzählt. Und so ist es bis heute: Friedenau - der unaufgeregte Familienkiez. Es gibt viele Kindergärten, diverse Schulen. Einige Spielplätze, wie der auf dem Perelsplatz, sind bei Kindern und Eltern so beliebt, dass man im Sommer an manchen Nachmittagen seinen Sprössling vor lauter Kindern nicht mehr sieht.

Der Wochenmarkt, auf dem Grass oft einkaufte, ist an Sonnabenden immer noch der Treffpunkt der Friedenauer. Nach einem Milchkaffee bei "Marcello" kaufen sie Biokartoffeln oder Bockwürste, frisch geräucherten Fisch oder selbst gebackene Torten. Der Markt vor dem Rathaus ist dabei das, was er schon immer war - keine Touristen-Attraktion, sondern das kleine, gemütliche Einkaufszentrum der Anwohner.

Der Charme der Vorgärten

Dabei ist die Wohlfühlatmosphäre in dieser Wohngegend eigentlich ein Phänomen. Denn Friedenau ist begrenzt von S- und Autobahn, durchschnitten von den großen Verkehrsadern Haupt-/Rheinstraße und Bundesallee. Doch abseits der großen Straßen und Schienenwege ist Friedenau ruhig, grün und dank des hohen Altbaubestands attraktiv. Der Schauspieler Jürgen Heinrich ("Wolffs Revier") sagt zu seinem Heimat-Kiez: "Ich höre keine Autobahn, kann aber zwei Autobahnauffahrten nutzen."

Das Antlitz von Friedenau prägen auch die ummauerten Vorgärten. Wo in anderen Stadtteilen Autos parken, blühen hier Krokusse und Flieder. Zugegeben: Dadurch fehlen Stellplätze, aber in Friedenau fährt man ohnehin viel mit dem Fahrrad. Beispielsweise direkt über die Prinzregentenstraße Richtung Kudamm und Bayerisches Viertel. Oder man radelt über die Fahrradstraße am Südwestkorso zur Domäne Dahlem. Allerdings ist der Friedenauer Fahrradfreund gut beraten, ein solides Schloss zu besitzen: Die Zahl der Fahrraddiebstähle ist überdurchschnittlich hoch, 292mal standen Friedenauer Radfahrer im vergangenen Jahr vor dem Nichts.

Wer in Friedenau lebt, genießt die kurzen Wege- nicht mitten in der City, aber nah dran. Mit der U 9 ist man in zehn Minuten am Zoo, mit der S 1 in 15 Minuten an der Friedrichstraße.

Die Einkaufsmeile Schloßstraße beginnt an der südlichen Ortsteilgrenze. Der Weg dorthin führt allerdings an einigen leeren Läden oder häufig wechselnden Geschäften an Haupt- und teilweise auch Rheinstraße vorbei. Der kleine Einzelhandel hat es schwer - da ist Friedenau auch nur ein Teil Berlins. Der Ortsteil kann nicht mit großen Parkanlagen aufwarten, dennoch gehört zur guten Infrastruktur in Friedenau auch, dass die Trainingsstrecke quasi "vor der Haustür" liegt: Die Jogger zieht es in den Volkspark Wilmersdorf und den Rudolph-Wilde-Park am Rathaus Schöneberg. Zur frühen und späten Stunde am Wochenende laufen die Sportler fast schon Kolonne durch das lang gezogene Grün.

Aus Friedenau heraus wird auch ein Markenzeichen geliefert - die Askania Uhr. In der Roennebergstraße wurde die Tradition der Fliegeruhren wieder aufgenommen. Vor 135 Jahren hatte Carl Bamberg, der bei Carl Zeiss gelernt hatte, die Firmenzentrale der Askania-Uhrenwerke an die Bundesallee verlegt und das Unternehmen dort groß gemacht. In den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde aus dem Werk eine der größten deutschen Uhrenmanufakturen. Bis zu 15 000 Beschäftigte zählte die Firma. Kaum ein Flugzeug flog ohne Askania-Bordinstrumente. In den 60er-Jahren wurde das Unternehmen aufgelöst.

An diese Legende will nun die Uhrenmanufaktur in der Roennebergstraße anknüpfen, die Anfang 2006 neu in Friedenau gegründet wurde. "Wir wollten ganz in die Nähe der alten Askania-Werke, aber nicht in das historische Gebäude", sagt Leonhard Müller, Vorstand der heutigen Askania AG. Denn die Manufaktur, in der heute 17 Mitarbeiter Armbanduhren herstellen, sollte in ein eigenes Haus. Eine kleine, feine Manufaktur müsse auch ebenso untergebracht sein, sagt der Schweizer Müller mit einem Verweis auf sein Heimatland. Nun findet man die Askania AG in einer Remise. "Wir fühlen uns sehr wohl in Friedenau. Außerhalb der Stadtzentren, aber doch so nah dran", sagt Müller.

Im Pyjama auf der Straße

Friedenau - das ist auch ein Leben mit Literatur, nicht nur wegen der vielen namhaften Buchhandlungen. "Da ist man ganz dicht dran an den Schriftstellern und ihren Geschichten", sagt Gudrun Blankenburg, die Führungen durch den Stadtteil anbietet. Die Niedstraße zwischen Friedrich-Wilhelm- und Breslauer Platz ist geradezu eine Literaturmeile. Hier wohnten und arbeiteten neben Günter Grass auch Erich Kästner, Uwe Johnson und Günther Weisenborn. "Um die Ecke" lebten Hans Magnus Enzensberger und Max Frisch. Letzterer wohnte an der Sarrazinstraße und irrte eines Nachts im Pyjama durch die Straßen von Friedenau, voller Wut nach einem Streit mit seiner Frau. Doch das ist eine andere Geschichte...

"Friedenau ist unspektakulär im positiven Sinn. Das war vor 25 Jahren so, und das ist noch heute so" Ernst Karbe (60), Inhaber des Geschäfts "Bilderbär" an der Hedwigstraße

"Im Krieg nicht bombardiert, blieben die Jugendstil- und Fachwerkbauten. Das Lärmen in Berlin ist in Friedenau nur ein fernes Rauschen" Reinhard Jirgl (55), Schriftsteller, veröffentlichte 2005 den Roman "Abtrünnig"

"Man lebt im Grünen unter Platanen, Kastanien und Linden. Man lebt hier ruhig und harmonisch, ist aber schnell dort, wo das Leben pulsiert" Jürgen Heinrich (63), Schauspieler 

 
Kulinarisches

Ciabatta auf der Holzbank

Samstag, 25. Oktober 2008 01:38

In Friedenau kommt man auch kulinarisch gut durch den Tag. Bei "BäckerMann" am Südwestkorso 9 genießt der Friedenauer am Morgen ab 6 Uhr (Wochenende ab 8 Uhr) Brötchen, Kaffee und die Tageszeitung. Drinnen wie draußen ist das Frühstücken bei "BäckerMann" einfach schön.

Bei gutem Wetter sitzt der Friedenauer auch gern auf Holzbänken und genießt sein Ciabatta bei "Marcello" am Breslauer Platz (Lauterstraße 14, Mo.-Sbd. ab 7.30 Uhr). Sogar bei kühleren Temperaturen sind oft alle Plätze vor dem Café besetzt. Das Nette bei "Marcello" ist, dass man gleich nebenan für den heimischen Kühlschrank Köstlichkeiten aus Italien kaufen kann. Und wem das nicht reicht, der bleibt gleich bis mittags und genießt einfache, aber frische italienische Küche (Nudel-Fleisch-Gerichte ab 4,50 Euro, Pizza ab 5 Euro).

Mittags ist das "Tomasa" an der Hauptstraße 85 (täglich 8 bis 1 Uhr, Fr. und Sbd. bis 2 Uhr) ein beliebter Treff. Nicht nur wegen der wechselnden Wochenkarte - aber auch (Beispiele: Kohlroulade mit Kürbis-Kartoffelpüree 8,80 Euro, Tomasa-Salat 7,20 Euro)

Abends bekommt man die beste Holzofen-Pizza von Friedenau in der "Trattoria del Corso" an der Hauptstraße 70(12-1 Uhr, am Wochenende unbedingt Tisch reservieren oder mit Wartezeit rechnen). Vorzügliche italienische Küche jenseits von Pizza serviert "Mario" am Südwestkorso 10 (tgl. 11-24 Uhr).

Wer das besondere Lokal für Zwei sucht, kann am S-Bahnhof Friedenau (der schon in Schöneberg liegt) in den "Blumenladen" einkehren. Dort duftet es zwar nicht mehr nach Blumen, wohl aber nach Fettucine mit Jacobsmuscheln (Mo.-Sbd. ab 18 Uhr). Eine vorzügliche sizilianische Küche kann man bei Giovanni Tarallo im "Brigantino" an der Kaisereiche genießen (Rheinstraße 53, Mo.-Sbd. ab 17 Uhr).

Den Absacker trinkt man in der "OffenBar" an der Hauptstraße 80 B, wo man sich im Winter auch am Kamin wärmen kann. Es gibt eine Klingel an der Tür. Doch in der Regel erhält jeder halbwegs situierte Berliner Eintritt in die kleine Friedenauer Bar.

 Wohnen

Begehrte Wohnungen – die Mieten ziehen an

Freitag, 24. Oktober 2008 17:44

Nicht mehr City und noch nicht Außenbezirk – Der Ortsteil Friedenau ist einer der gefragtesten in Berlin, und das schon seit Jahrzehnten.

Der Plötz-Immobilienführer kommt bei Friedenau zu einem sehr positiven Urteil: „Die in der wilhelminischen Zeit als Landhauskolonie angelegte Siedlung zählt zu den beliebtesten Wohngegenden der Stadt.“ In der Tat sind die Altbauwohnungen – viele mit dem berühmten Berliner (Durchgangs-)Zimmer – sehr begehrt. In zahlreichen Häusern aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts gibt es noch pompöse Eingänge, Stuck und Holzkastenfenster.


Für solche 120- bis 140-Quadratmeter-Wohnungen zahlt man je nach Zustand zwischen 800 und 1400 Euro Warmmiete. Wer eine sanierte Wohnung dieser Größe kaufen will, muss schon bis zu 340000 Euro bezahlen. Während die Kaufpreise in den letzten Jahren relativ konstant blieben, sind die Mieten stark gestiegen. Denn gerade auch bei Neuberlinern ist die Gegend beliebt. Wer abends durch die Straßen zieht, sieht viele Autokennzeichen aus Hamburg oder Nordrhein-Westfalen.

Neben diesen Altbauten gibt es aber auch Wohnungen, die wegen ihrer Lage an Hauptverkehrsstraßen, der Autobahn oder der S-Bahn deutlich günstiger sind. Spitzenpreise von mehr als einer Million Euro erzielen die Landhäuser oder die wenigen frei stehenden Villen.

In Schöneberg stehen Siedlungsbauten, wie etwa die Ceciliengärten, die ab 1912 errichtet wurden. Obwohl dieser Bereich zwischen Innsbrucker Platz und S-Bahnhof Friedenau gar nicht mehr zu Friedenau gehört, werden Immobilien oft mit diesem „Prädikat“ angeboten. Die Ceciliengärten, benannt nach Kronprinzessin Cecilie von Preußen, wurden als Wohnungen für Mitarbeiter der Berliner Straßenbahn konzipiert. Heute werden zusammengelegte Einheiten als Eigentumswohnungen für junge Familien vermarktet,.

 Historie

Die gute Figur des Straßennetzes

Freitag, 24. Oktober 2008 17:43

Wie der Hamburger Kaufmann von Carstenn eine Villenkolonie plante. Der Name entstand als Erinnerung an den Frankfurter Frieden im Jahr 1871.

Wer Friedenau eine friedliche Atmosphäre bescheinigt, liegt damit nah an der Namensgebung des heutigen Ortsteils – der Name entstand als Erinnerung an den Frankfurter Frieden im Jahr 1871, der im Gründungsjahr des Berliner Vororts den Deutsch-Französischen Krieg beendete. Im Anhängsel „-au“ schwingt noch die Idee einer Gartenstadt mit. Kein Berliner, sondern der Hamburger Kaufmann Johann Wilhelm von Carstenn erwarb das Gebiet 1865, um einen Villenvorort nach englischem Stil zu konzipieren. Eine Landhauskolonie, die er am Reißbrett entwarf.

Nach Carstenns Plänen entstand das symmetrische Straßennetz: Der u-förmig verlaufende Straßenzug Stubenrauch- und Handjerystraße zieht sich um die Bundesallee als Zentrum. Eingefangen wird das städtebauliche „Hufeisen“ von vier Plätzen; Perelsplatz, Renée-Sintenis-Platz, Schillerplatz und dem ehemaligen Hamburger Platz (heute etwa die Kreuzung Stubenrauchstraße/Südwestkorso/Görresstraße. Nach ihrem Planer heißt die einmalige Straßenführung denn auch „Carstenn-Figur“.

Im Jahr 1871 kaufte der „Landerwerb- und Bauverein auf Actien“ einen Großteil der Fläche des damaligen Ritterguts Deutsch-Wilmersdorf – das Geburtsjahr des Ortsteils. Anders als viele andere Viertel Berlins entspringt er nicht einem alten Dorfkern. Das erste Gebäude entstand planmäßig in der Dickhardtstraße, der Keimzelle Friedenaus. 1874 wurde es eine selbstständige Landgemeinde des Landkreises Teltow. Damals sah der Bebauungsplan der Architekten noch vor, ausschließlich Stadtvillen zu bauen und auf Mietshäuser gänzlich zu verzichten.

Zwischen den Bauherren entbrannte ein Streit, ob die Gebäude als Ziegelrohbauten errichtet oder verputzt werden sollten. Im Volksmund kämpften die „Rohbauer“ gegen die „Putzbauer“, die damals westlich der Kaisereiche (Saar-/Rheinstraße) bauten – bis heute ist das im Stadtbild zu sehen. Mit einer neuen Bauordnung durften Architekten ab 1887 auch Mietshäuser errichten. Die waren gefragt, denn in Berlin herrschte akuter Wohnungsmangel. Villen wurden in dieser Zeit abgerissen und durch Mietshäuser ersetzt. Bis 1914 wurde Friedenau fast restlos bebaut.

Trotzdem mussten die Einwohner nicht auf architektonische Großzügigkeit verzichten: Noch heute findet man viele große Sechszimmerwohnungen mit Dienstmädchenkammer. 1920 wurde Friedenau in das neu gebildete Groß-Berlin eingemeindet. 

 Einkaufen

Zum Süchtigwerden

Samstag, 25. Oktober 2008 01:39

Die Süchtigen in Friedenau zieht es an den Varziner Platz. Dort hat in der ehemaligen "Loeser und Wolff Cigarrenhandlung von 1906" der "Süßkram-Dealer" seinen Sitz, eine kleine, aber exquisite Schokolaterie.

Wer in den braun getäfelten Eckladen an der Varziner Straße 4 geht, der begreift sofort, dass Schokolade nicht gleich Schokolade ist. So gibt es jetzt beim "Süßkram-Dealer" beispielsweise Bachhalm-Schokolade aus Österreich, die mit kandierten Rosen verziert ist. Gern genommen wird auch die berühmte Wilmersdorfer Zartbitter-Schokolade von Erich Hamann.

Mo.-Fr., 7.30-20 Uhr; Sbd./So., 10-18 Uhr







 
   
   
   
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